Menschliches Bekenntnis in kriegerischen Zeiten

Bieler Tagblatt – Samstag, den 20. August 2016

Musik – Die Murten Classics eröffnen unter dem Motto „La Suisse» ihre 28. Ausgabe mit Honeggers Dramatischer Legende «Nicolas de Flue»

«Bleibt einig», beschwört Niklaus von Flüe eindringlich die sich streitenden Eidgenossen. Der Streit war unter Stadt- und Landorten nach der Niederlage Karls des Kühnen in der Schlacht bei Murten 1476 entbrannt. Doch dank der Vermitt-lung Niklaus von Flües wurde der Kon-flikt der Acht Orte beigelegt und der Bund der Eidgenossen um die Kantone Freiburg und Solothurn erweitert.

Zwischen den Ereignissen im 15. Jahr-hundert, der Dramatischen Legende «Ni-colas de Flue» von Arthur Honegger und dem Eröffnungskonzert von Murten Classics am Dienstagabend in der Deutschen Kirche in Murten gibt es zahlreiche Querbezüge, wie Thierry Carrel, der re-nommierte Herzchirurg aus Freiburg in seiner Eröffnungsansprache ausführlich darlegte. Gemeinsamer Nenner ist der Appell an die Menschlichkeit, an Friede und Freiheit auch unter schwierigen Be-dingungen. Diese grundlegende Mission Niklaus von Flües steht auch im Mittel-punkt des Textbuchs zur Dramatischen Legende, das der Schweizer Philosoph und europäische Vordenker Denis de Rougemont im Auftrag des Kantons Neu-enburg für die Landesausstellung im Jahre 1939 verfasst hatte. Nur der politi-sche Rahmen war ein anderer: Der Zweite Weltkrieg stand nun vor der Tür. Für die musikalische Vertonung seiner Zeilen gewann Denis de Rougemont ebenfalls einen überzeugten Humanis-ten: Arthur Honegger. Dem in Frankreich lebenden Schweizer Komponisten war es dabei ein Anliegen, das Textbuch so zu vertonen, dass es möglichst zahlreiche Menschen erreicht und sich möglichst viele, auch Amateure an der Aufführung beteiligen, wie Blasmusiken und Chöre.

Einfach und eindringlich

Das Eröffnungskonzert der Murten Clas-sics erfüllte indes professionelle Ansprü-che. So präsentierte sich mit der Concor-dia Freiburg der Vize-Schweizermeister der Harmonieorchester, was vom ersten Ton an zu hören war: Die Bläser spielten mit einem bis ins letzte Detail kontrollier-ten Ton, klanglich samtweich und blitz-sauber intonierend. Dass der Orchester-klang nie dick aufgetragen wirkte, liegt auch an der überaus transparent einge-richteten Partitur. Fast nie lässt Honegger das gesamte Blasorchester aufspielen, vielmehr setzt er die Register gezielt ein, um eine Textpassage zu stützen oder zu konterkarieren – und erreicht dadurch umso stärkere Wirkung. Unverkennbar manifestiert sich in Honeggers Komposi-tion der Einfluss der Groupe de Six, der er angehörte. Das musikalische Credo jener französischen Komponistenvereinigung lag in Abkehr zur schwülstigen spätro-mantischen Musik in einer «Neuen Ein-fachheit». Doch auch die düsteren politi-schen Ereignisse seiner Zeit spiegeln sich in Honeggers Musik: Gleich zu Beginn der Legende tönen in den tiefen Blechblä-sern, unterstützt durch Becken, Pauken und grosse Trommel Stechschritte an. Doch die musikalische Kriegsszenerie weicht bald dem eindringlichen Friedens-appell Niklaus von Flües. Yann Pugin füllt die Rolle des Erzählers mit seiner ganzen Persönlichkeit und deklamiert die Verse mit klarster Diktion, ohne Druck, und wenn gefordert, mit bezwingender Ein-dringlichkeit. Ganz licht und zart nimmt sich dagegen der Kinderchor aus, die ländliche Unschuld verkörpernd. Den Mittelpunkt der Aufführung bildet jedoch der Chor. Dabei steht mit dem Chœur et Maîtrise St. Pierre-aux-Liens aus Bulle ein hervorragend vorbereiteter Klangkör-per zur Verfügung. Die Sängerinnen und Sänger bewältigen die vielfältigen, teils anspruchsvoll zu intonierenden Parts (vor allem die A-cappella-Gesänge!) mit bemerkenswerter Sicherheit. Zur in sich stimmigen und ausbalancierten Auffüh-rung dieser einzigartigen Komposition Arthur Honeggers trug vor allem auch die umsichtige Gesamtleitung durch Jean-Claude Kolly bei.

Annelise Alder