Heute beginnen Sie mit einem neuen Instrument

Unisono – Montag, den 16. Oktober 2017

Jean-Claude Kolly, der bekannte Freiburger Dirigent, ist Mitglied der Musikkommission des SBV und unterrichtet Blasorchesterdirektion in verschiedenen Lehrgängen am Konservatorium Freiburg. Ein Überblick über einen didaktischen Hintergrund an der Schnittstelle zwischen Berufs- und Amateurwelt mit einem Professor, der gleichsam seine Leidenschaft mit einer Mission verbindet.

Jean-Claude Kolly ist nicht nur Lehrer, sondern dirigiert auch weiterhin aktiv.

Jean-Claude Kolly, Sie stehen den Klassen für Blasmusikdirektion der Musikhochschule Waadt, Wallis und Freiburg vor. Können Sie uns diese kurz beschreiben ?

Man muss zwei Lehrgänge unterscheiden. Der Lehrgang der Musikhochschule ist Berufsmusikern vorbehalten, die bereits ein Instrumentaldiplom erworben haben, und er führt zu einem Bachelor beziehungsweise einem Master in Blasorchesterdirektion. Der zweite Lehrgang, jener des Konservatoriums Freiburg, richtet sich an Amateure, die ihn unter gewissen Bedingungen absolvieren können. Auf diesem Weg erhält man am Schluss ein Zertifikat für Blasorchesterdirektion.

Welches sind genauer gesagt der Werdegang und die Herkunft der Studierenden ?

Die Studenten der Musikhochschule sind Berufsmusiker, die bereits einen konsequenten Weg gegangen sind. Aber wenn man die Musik als Beruf betreibt, muss man – wie überall – seinen Lebensunterhalt verdienen. Mit einem Master in Blasorchesterdirektion fügen diese Musiker ihrem Berufsalltag ein zweites Standbein hinzu.

Um sich für den Lehrgang des Konservatoriums Freiburg anmelden zu können, muss man die drei Jahre Dirigentenkurs eines Kantonalverbandes oder die Ausbildung am Kompetenzzentrum für Militärmusik erfolgreich absolviert haben. Wer keine dieser Bedingungen erfüllt, muss eine Eintrittsprüfung ablegen. In diesem Lehrgang finden sich aber auch Personen, die schon zwei Master in Musik besitzen und die keinen dritten erwerben können; dies ist in der Schweiz nicht möglich, und zwar aus Kostengründen, d. h. wegen der Subventionen.

Die Studierenden kommen aus der ganzen Schweiz und sogar aus dem grenznahen Ausland. Eine Vielfalt, die natürlich eine Bereicherung darstellt.

Der Studiengang beinhaltet individuellen, aber auch – wie hier – Gruppenunterricht.

Paradoxerweise könnten Sie also in der «Amateurklasse» erfahrenere Studenten haben als bei den Profis ?

Weil diese Klasse auch doppelte Master umfasst, kann dies effektiv der Fall sein. Der Unterricht bleibt aber gleich, wobei der Lehrplan der Musikhochschule naturgemäss umfangreicher und vielfältiger ist. Präzisieren wir noch, dass die Hochschule Einstiegsmodule fürs Dirigieren geschaffen hat. Diese werden im Rahmen der Kursoptionen angeboten und erlauben es den Studierenden des Masterlehrganges für Lehrpersonen, parallele Dirigierkurse zu belegen. Und die Musikhochschule befolgt bezüglich der Dirigentenausbildung eine klare Politik: Berufsmusiker für Amateure auszubilden. Das ist übrigens logisch, denn in der Schweiz gibt es ja keine professionellen Blasorchester. Das Schweizer Laienmusizieren ist also gewissermassen die Daseinsberechtigung für meine Dirigierklassen. Diese Aufgabe ist faszinierend.

Und wie sieht der Kursablauf genau aus ?

Als Beispiel nenne ich den Lehrgang des Konservatoriums. Er erstreckt sich über vier Jahre mit vier Theoriestunden im Gruppenunterricht – die ich zu gleichen Teilen zusammen mit Benedikt Hayoz gebe – sowie einer Einzellektion Dirigieren pro Woche. Dieser Individualunterricht ist eine Besonderheit Freiburgs, die ich unterstreichen möchte.

Was wird in der allgemeinen Ausbildung behandelt ?

Natürlich alle musiktheoretischen Bereiche wie Harmonielehre, Analyse, Gehörbildung, Instrumentation, Repertoire und auch Musikgeschichte. Die Stunde im Einzelunterricht bietet die Möglichkeit, eine Partitur genauer zu studieren oder – wenn nötig – auf die Probleme einzugehen, die der Studierende in seinem Verein antrifft. Da kann es beispielsweise darum gehen, für die Erarbeitung der Intonation eine Lösung zu finden. Zudem müssen mir die Studierenden sieben oder acht Mal im Jahr ein Video von ihrer Probenarbeit abliefern. Ich schaue mir das jeweils an und gebe ein Feedback meiner Analyse in der nächsten Einzellektion. Natürlich gehen wir auch auf die Probengestaltung ein, die Probenplanung sowie die Vorbereitung auf einen Anlass. Es gibt auch einige Dirigierlektionen in der Gruppe. Dazu kommt Klavier in homöopathischen Dosen, denn es geht darum, eine Partitur in ihren grossen Linien spielen zu können. Zusammengefasst kann man sagen, dass wir versuchen, möglichst umfassend zu sein.

Ein Dirigent soll sich durch seine Gestik mitteilen können.

Wie sieht es neben dem ganzen theoretischen Teil mit der Praxis aus ?

Sie ist sehr wichtig. Die Schüler müssen die Möglichkeit zum Dirigieren haben. Mit meinen Ensembles habe ich eine Vereinbarung, dass sie uns im Rahmen von Seminaren zur Verfügung stehen. Wir haben beispielsweise nicht das Glück der Finnen, die am Konservatorium ein eigenes Ensemble besitzen, welches jede Woche zur Verfügung steht, aber wir unternehmen alles, damit unsere Studenten sich so oft wie möglich in die Lage versetzen können. Übrigens sind in Freiburg bei den kollektiven Dirigierlektionen alle Studierenden unabhängig vom Studienjahr oder vom Lehrgang dabei.

Wie viel Studierende belegen insgesamt diese Lehrgänge ?

In der Klasse des Konservatoriums sind es derzeit dreizehn Studenten, im Masterlehrgang fünf und in den Kursoptionen zwölf. Ich habe in der Tat noch nie so viele Schüler gehabt. Dieses Jahr haben wir sieben neue Studierende aufgenommen. Die Ausbildung ist begehrt, und die Zielsetzungen können variieren, aber wir versuchen dennoch herauszufinden, wo die Interessen der Kandidaten sind und welches ihre Motivation ist, sich in diesem Bereich einzusetzen.

Was sagen Sie Ihren Studenten jeweils zu Beginn des Studiums ?

Da kommen zwei Sätze immer wieder vor. «Heute beginnen Sie mit einem neuen Instrument », denn Dirigent werden heisst, einen Beruf erlernen und sich andauernd mit ihm befassen. Der zweite Satz: «Verbessert Euer Ensemble, damit es Euch verbessere.» Ein Dirigent soll durch seine Gestik mitteilen können, was er zu erreichen wünscht – und nicht nur mit seinen Erklärungen während der Probe – damit das Konzert nicht ein blosses «Kopieren – Einfügen» der Hauptprobe wird.

Zur Dirigentenausbildung gehört natürlich auch die Analyse der Partitur.

Jemand kann ein brillanter Instrumentalist sein, aber dennoch nicht gezwungenermassen ein Dirigent, oder umgekehrt. Was macht man im ersten Fall ?

Ohne es an Respekt gegenüber irgendeiner Person mangeln zu lassen, ist das Anforderungsprofil für einen Dirigenten der 3. Klasse oder einer Jugendmusik nicht gleich wie jenes für einen Dirigenten der Höchstklasse. Der pädagogische Aspekt oder die Fähigkeit, Menschen zu führen, sind im ersten Fall wichtiger. Dafür ist es vielleicht nicht entscheidend, ein potenzieller Karajan zu sein. Ich komme also in die Lage, meine Kandidaten in gewissen Situationen darauf hinzuweisen, dass sie nicht die Höchstklasse anstreben können. Oder ihnen im schlimmsten Fall klarmachen muss, dass das Dirigieren nichts für sie ist. Das erspart ihnen ein paar Jahre später eine weitaus herbere Enttäuschung.

Kommt in diesen Lehrgängen die Psychologie auch zur Sprache, die ein Dirigent zweifellos braucht ?

Die Hochschule bietet in diesem Fach spezifische Lektionen an. Am Konservatorium mache ich es selber. Manchmal spreche ich das Thema in den Einzellektionen an. Dabei geht es um Konfliktbewältigung oder komplexere Situationen wie Absenzen, Bestandfragen, Verantwortungsbewusstsein – Fragen, die in unseren Vereinen immer häufiger vorkommen und denen wir uns stellen müssen, wollen wir den Fortbestand unserer Bewegung sichern.

Kommen wir noch kurz auf den Lehrgang am Konservatorium zu sprechen, der eigentlich die Fortsetzung der unter der Schirmherrschaft des SBV durch die Kantonalverbände angebotenen Ausbildung darstellt. Wie sehen Ihre Beziehungen zum SBV aus ?

Die Grundlagen unseres Lehrganges wurden durch den SBV festgelegt, und die Mitglieder der Musikkommission sind Dozenten der betreffenden Lehrgänge. Die Zusammenarbeit ist demnach die engstmögliche. Davon abgesehen hat der SBV kein Aufsichtsrecht mehr, denn er ist finanziell nicht an dieser Ausbildung beteiligt. Er gibt zwar den erfolgreichen Studenten 450 Franken, die Ausbildung kostet aber 4’000 Franken im Jahr…

Jean-Claude Kolly lehrt am Konservatorium von Freiburg in verschiedenen Studiengängen.

Wir kennen die Problematik des Dirigentenmangels in unseren Vereinen. Wäre eine Intensivierung der Zusammenarbeit nicht wünschenswert, um ihn zu beheben ?

Das ist in der Tat die Hauptsorge der Musikkommission des SBV. Wir überdenken natürlich andere Lösungen, beispielsweise eine «entlastete» Ausbildung mittels Workshops oder Arbeitswochenenden. Aber bei mir bleiben Zweifel. Dirigenten in vier Wochen auszubilden, scheint mir etwas gefährlich und wirkt wenig glaubwürdig. Es bleibt aber dabei, wir müssen Lösungen suchen und vor allem Lösungen finden. Ich halte jedenfalls fest, dass die Kurse der Kantonalverbände weiterhin angeboten werden, dass sie weniger elitär sind als der Lehrgang des Konservatoriums und dass sie mit ihrem Abschluss die Möglichkeit schaffen, diesen Lehrgang in der Folge zu belegen.

Seien wir zum Schluss etwas subjektiv und vereinfachend. Wenn ein Dirigent nur eine einzige Eigenschaft besitzen könnte, welche wäre dies ?

[lacht] Schwierig… Die Musik und seine Musikanten lieben.

Régis Gobet